SCHNITZEREI BEI DEN SENUFO

Schnitzer Songuifolo Silué schnitzt eine Holzfigur. Foto: Karl-Heinz Krieg, Sirasso (Region von Boundiali, Côte d’Ivoire), 1978

Die Schnitzkunst wird ausschließlich von Männern bestimmter Berufsgruppen ausgeübt. Neben den eigentlichen Schnitzern gibt es bisweilen auch Bauern, Schmiede und Numus, die das Handwerk des Schnitzens erlernen. Der traditionelle Schnitzvorgang ist von kultischen Handlungen begleitet, angefangen beim rituellen Schlachten eines Huhnes vor dem Fällen des Baumes, dessen Holz bearbeitet werden soll. Gilt doch der Baum als Sitz von geistigen Machtwesen, die man durch Gaben bitten muß, sich einen anderen Wohnsitz zu suchen. Es ist grundsätzlich verboten, einen Baum im Heiligen Hain, dem Sitz des Poro-Bundes zu schlagen. Dort gilt vor allem der Kapokbaum als Behausung der Geister.

Die Klingen der Werkzeuge (Messer, Querbeil – der sogenannte Dechsel –, Stichel, Hobel) werden von den Schmieden für die Schnitzer hergestellt, die dann wieder die Griffhölzer anbringen; denn — so ein alter Schnitzer: „Ein Schnitzer berührt kein Feuer“, d.h. er schmiedet nicht selbst. Das Werkstück (ob Figur oder Maske, Hocker oder Bett) wird in der Regel aus einem einzigen Holzblock herausgearbeitet. Nur Lehnstühle oder bisweilen auch Helmmasken bestehen aus mehreren zusammengesetzten Teilen. Vorzugsweise benutzt der Schnitzer frisch geschlagenes, also grünes Holz und legt während der Arbeitspausen das Werkstück ins Wasser, um das Austrocknen und damit Reißen zu verhindern. Mit grobem oder feinerem Querbeil, aber auch mit dem Messer und Stichel wird das Werkstück bearbeitet. Langsam wächst die Figur oder Tanzmaske aus dem Holz: erst kantig mit scharf abgesetzten Partien, dann in die typischen Rundungen übergehend. Mit Vorliebe handhabt ein Schnitzer sein Querbeil, wobei er erst ganz am Schluß zum Schnitzmesser greift.

 

Songuifolo Silué färbt die Holzfigur mit einer roten Pflanzenfarbe und eisenhaltigem Flußschlamm. Foto: Karl-Heinz Krieg, Sirasso (Region von Boundiali, Côte d’Ivoire), 1978

Songuifolo Silué wäscht die jetzt schwarze Figur mit Wasser ab. Foto: Karl-Heinz Krieg, Sirasso (Region von Boundiali, Côte d’Ivoire), 1978

Abschließende Behandlung und Patina

Von alters her haben die Schnitzer der Senufo am Ende des Prozesses ihre Skulpturen bisweilen mit rauhen Blättern geglättet, bzw. mit der Klinge des Querbeils geschabt und in jedem Fall gefärbt. So findet man Stücke mit völlig glatter Oberfläche neben solchen, die noch die Schläge von Dechsel und Messer erkennen lassen. Die Färbung erfolgt mit einem roten Saft, gewonnen aus den von einer Baumwurzel geschabten Fasern. Nach dem Trocknen des Saftes wird mit einer Hühnerfeder oder einem Holzspan eisenhaltiger Flußschlamm aufgetragen, wodurch sich das Rot in ein tiefes Schwarz wandelt — ein Verfahren, das der Flafani-Technik bei der Stoff-Färbung ähnlich ist. Das vom Schlamm gereinigte Objekt wird schließlich mit Fett eingerieben und wirkt dann mattglänzend. Nur selten wird ein Schnitzer bereit sein, ein ungefärbtes Produkt seiner Kunst aus der Hand zu geben.

Die Patina, das Aussehen und die Beschaffenheit der Oberfläche eines alten Stückes, sei es ein Kult- oder Gebrauchsgegenstand, hängt ganz vom Gebrauch des Stückes durch den Besitzer ab. Die Dichte z. B. einer Gebrauchspatina sagt kaum etwas über das wirkliche Alter eines Stückes aus, da das Stück ja mehr oder weniger häufig und intensiv gebraucht worden sein kann. Auch ist die Lagerung entscheidend.
Wird ein Stück z. B. in der Nähe einer rauchenden Feuerstelle aufbewahrt, um es vor Insektenfraß zu schützen, so ergibt sich zwangsläufig eine typische Rauchpatina mit Rußschichten. Andere Stücke dagegen werden sorgfältig in Tücher eingewickelt, so daß man ihnen selbst nach zwanzig und mehr Jahren ihr Alter nicht ansieht. Es gibt Kultgegenstände, welche täglich benützt werden, andere wiederum nur in Kulthandlungen mit siebenjährigen Intervallen. Dementsprechend altern und patinieren Kultobjekte langsamer oder schneller. Die Funktion der Kultobjekte ist vielseitig. Sie dienen noch heute vielfach dem religiösen Tanz, der Verehrung der Ahnen, aber auch den Praktiken der Geheimbünde. Wir können mit Sicherheit annehmen, daß kein Senufo-Kunstwerk jemals ausschließlich wegen seiner ästhetischen Schönheit geschnitzt wurde. Es hatte eine Funktion zu erfüllen und für diese Funktion wurde es durch Opfer und Weihen sozusagen „kraftgeladen“.

Text: Karl-Heinz Krieg, 1980
Aus: Kunst und Kunsthandwerk aus Westafrika. Mit einem Vorwort von Dr. Klaus Volprecht, Leverkusen 1980